„Erinnern heißt Handeln“ (Charlotte Knobloch) – Der Besuch der 9. Klassen in der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg

kzAngesichts aktueller Umfrageergebnisse, laut denen ein wachsender Teil junger Menschen in Deutschland nur noch vage Kenntnisse über den Holocaust hat oder dieser sogar infrage gestellt wird (vgl. ZEIT ONLINE, Januar 2025), gewinnt historisches Gedenken eine neue Dringlichkeit. Umso wichtiger ist es, dass sich junge Menschen selbst ein Bild von der Vergangenheit machen – nicht durch Schulbuchtexte, sondern durch Orte, an denen Geschichte greifbar wird.

Die Schülerinnen und Schüler der 9. Klassen des Johann-Christian-Reinhart Gymnasiums besuchten deshalb am 05.05.2025 die KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Zwischen 1938 und 1945 waren hier über 100.000 Menschen interniert, mehr als 30.000 überlebten das Lager nicht. Bereits beim Betreten des ehemaligen Lagergeländes liegt eine spürbare Schwere in der Luft. Eine weiße Wand mit dem Satz „Hier haben wir nicht nur unsere Kleidung verloren, sondern unsere Seele“ markiert den Beginn eines Rundgangs, der tiefer geht als jeder Unterricht.

In den original erhaltenen Kellerräumen, wo früher die sogenannte „Aufnahmeprozedur“ stattfand, begegnen die Jugendlichen dem Erfahrungsbericht von Coen Rood, einem ehemaligen Häftling aus den Niederlanden. Auf einem laminierten Blatt, das die Schüler heute in der Hand halten, beschreibt Rood das Grauen seiner Ankunft:

„Nackt, in der eisigen Kälte, überqueren wir erneut den Appellplatz […] Männer mit Scheren betreten den Raum und schneiden uns die Haare ab. […] Ein Feuerwehrschlauch wird entrollt und ein mächtiger Strahl eiskalten Wassers kommt uns entgegen. […] Wir stehen da, frieren, es ist nass und kalt, der eisige Wind bläst durch die kaputten Fenster.“

Roods Worte machen deutlich: Schon der erste Kontakt mit dem Lager bedeutete einen radikalen Bruch mit der eigenen Menschlichkeit. Haare, Kleidung, Namen – alles wurde den Häftlingen genommen. Sie wurden zu Nummern, zu Objekten der Ausbeutung, ihrer Würde beraubt. Der junge Niederländer schildert, wie sie frierend ohne Kleidung die Nacht überstehen mussten, ehe sie am Morgen ein paar dürftige Kleidungsstücke erhielten – ein dünnes Hemd, eine Sommerhose, einen gestreiften Mantel.

Diese individuelle Perspektive ergänzt die historischen Fakten und macht das Unfassbare konkret. Coen Roods Schilderungen stehen exemplarisch für unzählige Schicksale im Lager Flossenbürg. Dass solche Zeugnisse überliefert wurden und heute weitergegeben werden, ist nicht nur ein Glück, sondern auch eine Verpflichtung.
Beim Rundgang durch das Gelände und durch die Ausstellung wird den Schülerinnen und Schülern zunehmend bewusst, dass die nationalsozialistische Gewalt nicht abstrakt war, sondern real – Tag für Tag erlitten von Menschen mit Geschichten, Familien, Hoffnungen.

Die Schüler bringen es nach dem Rundgang auf den Punkt: „Ich finde es ist wichtig, Gedenkorte zu besuchen, um sich vorstellen zu können, wie die Menschen leben mussten und wie grauenvoll die Zeit war.“ Andere sind noch emotional gefangen und äußern, dass „man dieses Gefühl von Tod und Leid gar nicht verstehen kann“.
Die Gedenkstätte Flossenbürg ist kein Ort der Antworten, sondern ein Ort der Fragen – Fragen nach Verantwortung, nach Zivilcourage und nach Menschlichkeit. Der Besuch hat Spuren hinterlassen. Und das ist gut so.

(Dr. Valentina Ringelmann)